Presseartikel: SonntagsZeitung

Nackte Haut, direkt vom Hof

High Heels, Sixpack und Tattoos
Wer sind die Mannen und Frauen, die sich für den erotischen «Schweizer Bauernkalender» ausziehen? Und warum tun sie das?

Der Laubbläser hat gerade Hochkonjunktur, er scheint überall einsetzbar. Bauer Jonas steht am Hang und wirbelt mit einem gigantischen Rohr Gras durch die Luft. Er ist nackt, ein Oberkörper wie aus Stein gemeisselt, ein paar Grashalme auf der schweissnassen Haut. Ein verträumter Blick, der in die Ferne schweift.

Jonas Schneider (33) aus Amriswil ist der «Mai-Boy» im Schweizer Bauernkalender 2024. Der Thurgauer ist einer von zwölf «echten Schweizer Bauern», die ihre «natürliche Schönheit» zeigen, wie es auf dem Kalender heisst. Seit 2009 hängt die «Boys-Edition» in Waschküchen, Vorratskammern oder Hühnerställen. Als Quell der Freude (nicht nur) für die Bauersfrau.

Er ist lieber Bauer und sein eigener Chef

Er sei grad am Eierputzen, sagt Jonas Schneider am Telefon. Die Eier seiner Freilandhennen seien halt oft etwas dreckig, aber dafür garantiert Bio und naturnah. Auf seiner «Schneiders-Farm» hält er Galloway-Rinder und Freilandschweine, Border Collie Tayo ist immer an seiner Seite. Eigentlich wollte er nicht wie sein Vater Bauer werden, «immer schaffen, nie Ferien», das war nicht sein Ziel. Er lernte Käser und merkte: «Auch als Käser muss ich früh aufstehen.» Dann doch lieber Bauer und sein eigener Chef. Heute wird sein Tagesablauf von der Natur und den Jahreszeiten bestimmt. «Modern und bodenständig», dieses Bild will er von der Schweizer Landwirtschaft vermitteln. Allerdings könne er als kleiner, vielseitiger Bauer kaum überleben. Deshalb verdient er sich im Frühling und Herbst mit dem Auf- und Abbau der Landwirtschaftsmessen Bea und Olma einen Batzen dazu. Von der Arbeit auf dem Bau komme denn auch der Waschbrettbauch. Darauf werde er nun ständig angesprochen, «niemand hätte vermutet, dass ich ein solches Sixpack habe». Warum der Laubbläser vor dem Gemächt? Jonas Schneider lacht. «Es hat sich sonst niemand getraut, also habe ich mich anerboten.» Er habe kein Problem, sich nackt zu zeigen. Aber: «Man sieht ja nichts. Das Gerät ist gross genug.»

Die sexy Kalenderfotos sind auf dem Erlebnisbauernhof «Weid» im Kanton Obwalden entstanden. Der Hof hat einiges zu bieten: Kühe, Pferde, Hühner und Ziegen, aber auch eine Käserei, einen Holzofen und einen Brunnentrog, einen Fuhrpark und allerlei Gerätschaften – alles kam beim Fotoshooting zum Einsatz.

Der Berner Damiano (20), Forstwart und Pferdehalter, posiert in enganliegender roter Unterhose und Sense in der Hand – «La Famiglia» hat er sich über dem Herzen tätowieren lassen. Vier Bilder weiter: wieder ein Rohr! Ein Güllenrohr? Es gehört zu Michael (28) aus dem Zürcher Oberland – Mitglied der Volkstanzgruppe Bachtel. Die Sujets sollen Einblick in die vielfältige Schweizer Landwirtschaft geben, sagt Daniela Mayer von der Herausgeberin Calendaria AG. Und sie behauptet selbstbewusst, der Kalender habe im Verlauf der Jahre deutlich zur Verbesserung des bäuerlichen Images beigetragen. Weg vom Stallgeruch, hin zu einer fortschrittlichen, aufgeschlossenen Landwirtschaft.

«Wir haben den besten Job der Welt»

Alle Kalender-Boys sind Land- wirte mit Leib und Seele. Daniel Leuener aus Sennwald SG, mit 37 Jahren der älteste Naturbursche, wusste schon als kleiner Bub, dass er mal den Hof des Vaters übernehmen will. Allerdings habe er von der klassischen Milchwirtschaft auf eine Pferdepension samt Ponyreitschule um- gesattelt. Er besitzt 35 Pferde und Ponys und ebenso viele Hochlandrinder, die hochwertiges Fleisch liefern. Alles Bio, die Rinder würden auf der Weide getötet, das ganze Tier werde verwertet, sogar der Kopf mit dem Geweih, das warme Fell sowieso. «Wir Bauern haben den besten Job der Welt», er wünschte sich, die Kollegen würden nicht nur jammern, sondern kreativ und offen für Neues sein.

Daniel Leuener jedenfalls ist offen für allerhand: 2012 war er Kandidat in der Kuppelshow «Bauer, ledig, sucht ...» – und wurde fündig. Das Paar lebt heute mit zwei gemeinsamen Kindern auf dem Hof. Auch der St. Galler hat offensichtlich kein Problem mit Nacktheit: Nur eine Kuhglocke am Lederriemen verdeckt die heikle Stelle. Er lacht als Februar-Boy so frei in die Kamera, als würde er immer füdliblutt vor dem Glockenständer stehen. Das Sujet passe tipptopp zu ihm, «Glocken, das ist Tradition und Heimat».

Melchior Weingartner (31) aus Buttisholz LU will für eine neue Generation von Landwirten stehen. Der heutige Landwirt sei auch Unternehmer, sagt er, «die Zahlen müssen stimmen». Der November-Boy posiert mit Mistgabel, zeigt seinen beachtlichen Oberkörper im Kuhstall, der Arbeitsoverall hängt tief in der Hüfte, man sieht: Der moderne Landwirt trägt Unterhosen von Calvin Klein. Der Luzerner ist auf dem Bauernhof gross geworden, «ich bin in den Beruf hineingewachsen». Noch ist der Vater der Chef, ab 2024 jedoch sei dieser bei ihm angestellt. Man führe einen typischen Luzerner Betrieb: 21 Hektaren Land, 30 Milchkühe der Rasse Braunvieh, 300 Mastsäue, etwas Ackerbau, und bald beginnt der Verkauf von Weihnachtsbäumen. «Wir Schweizer Familienbetriebe produzieren beste Lebensmittel nach sehr hohen Vorschriften», sagt er, «und deshalb haben wir Landwirte diesen Kalender verdient.» Er ist bei der Feuerwehr und begeisterter Fasnächtler, Zeit für den Ausgang müsse sein. Während die alte Generation nur am Chrampfen war, will er auch mal Ferien machen: «Man muss sich halt organisieren.» Und ganz der Unternehmer, hat er den Bauernkalender nicht im Stall, sondern in seinem Büro aufgehängt – die «Girls-Edition», versteht sich. Eine Favoritin hat er nicht, der Luzerner findet, «alle Girls sehen super aus».

Sie könnte einen Traktor reparieren

Der Kalender mit den zwölf reizenden Landmädchen ist seit 2005 nicht mehr aus den Schweizer Ställen wegzudenken. Er kostet 42 Franken, über Verkaufszahlen will die Candelaria AG keine Auskunft geben, nur so viel: Die Girls verkaufen sich besser als die Boys. Jedes Jahr wollen rund 100 Frauen und Männer ihre natürliche Schönheit zeigen. Wichtigste Voraussetzung: Bezug zur Landwirtschaft. Wobei es reicht, auf einem Hof aufgewachsen zu sein. Die Auserwählten bekommen einen finanziellen Zustupf, zehn Kalender gratis und weitere mit Rabatt.

Die Girls im Alter von 20 bis 40 Jahren sind praktisch alle Bauerntöchter. Die meisten haben ein Tattoo, viele ein Piercing im Bauchnabel. Und alle lieben die Natur. Die Aargauerinnen dominieren, gleich drei Landmädchen kommen aus diesem Kanton.

Zum Beispiel Roxana Jordi (21) aus Fischbach-Göslikon. Bäuerin werden wollte sie nie, «zu wenig Freizeit, zu sehr gebunden». Aber es würde sie nicht stören, wenn ihr Zukünftiger ein Landwirt wäre. Hauptsache, er habe handwerklich etwas drauf, denn das findet sie sexy. Hilfe braucht sie aber nicht, mit Werkzeug kennt sie sich bestens aus. Roxana Jordi arbeitet als Hauswartin in einem Altersheim, in der Freizeit «chlütteret» sie gern, schraubt an ihren zwei Autos – auch einen Traktor könnte sie wohl reparieren. Das Traktorfahren hat ihr der Vater schon früh beigebracht, auch heute hilft sie gern auf dem Hof aus, kümmert sich um die Milchkühe, Wasserbüffel und Pensionspferde oder holt mit dem Traktor die Heuballen rein. Allerdings eher nicht in der Aufmachung als Januar-Girl: Die Blondine trägt rote Reizwäsche und rote Stögelischuhe.

Sandra Gmünder (21) aus Gais im Appenzellerland ist eher der burschikose Typ: Als April-Girl steht sie auf einer Alpwiese neben einer Kuh. Oben trägt sie einen rosa Büstenhalter, unten kurze, massive Lederhosen. Auf dem Oberarm hat sie einen Tannenwald tätowiert. Die Appenzellerin sagt: «Ich bin Metzger von Beruf.» Schweine, Kälber, Rinder, Kühe und Pferde, alles hat sie schon geschlachtet, Mühe hatte sie anfangs mit den «Chüngeli», weil sie auch zu Hause Chüngel hatte. «Aber es gehört zum Kreislauf dazu» – und sie töte so schonend wie nur möglich. Mit Strom die Schweine, mit Bolzenschuss die Rinder.

 

Sie arbeitet lieber mit Männern

Schlachten, Fleisch verarbeiten und im Laden verkaufen, in einem kleinen Betrieb mache man alles. Im Laden jedoch arbeitete sie nicht gern, «zu viel Kundenkontakt, zu viele Frauen, zu viele weibliche Hormone», lieber arbeitet sie mit Männern, wie jetzt in der Fleischverarbeitung. Nichts gegen «weibliche Wesen» hat sie in der Freizeit, sie trainiert in einem gemischten Seilziehverein. Ein gutes Training für den ganzen Körper, bei der Arbeit werde nur der Oberkörper beansprucht; 20 Kilo schwere Fleischstücke zu trennen, brauche ganz schön Kraft. Anpacken musste sie mit ihren fünf Geschwistern auch auf dem elterlichen Hof. Vater und Mutter würden «werken bis weiss ich nicht wann» – und so lange werde sie ihnen helfen. Am liebsten mag sie die Angus-Mutterkühe, «die haben einen extremen Mutterinstinkt», sie könne sie zwar streicheln, aber wenn sie Kälber hätten, müsse man schon vorsichtig sein. Die Metzgerin sagt, sie habe «kein Problem mit Vegetariern oder Veganern». Solange man ihr keine Vorschriften mache, «leben und leben lassen», das sei ihre Botschaft. Auf ihren Auftritt im Bauernkalender habe sie nur Positives gehört, «die zehn Kalender waren sofort weg». Ihr Foto findet sie «superschön», es passe zu ihr. Sie sei immer freizügig unterwegs, sie vertrage die Wärme nicht, Hot- pants und Bikini, das sei ihr Sommertenü. Aber provozieren wolle sie ihre Arbeitskollegen nicht. Und oben ohne hätte sie nicht posiert, «dafür habe ich zu wenig Oberweite», sagt Sandra Gmünder und lacht.

Poulet ist ihr absolutes Lieblingsessen

Die Landmädchen zeigen viel Haut, aber ihre Brüste halten sie bedeckt – mit Spitzen-BH oder hinter Pfingstrosen. Bei Vanessa Hofmann (25) aus Stein im Appenzell tuts ein Huhn. «Megacool, dass ich mich mit Hühnern fotografieren lassen konnte», findet sie. Zur Sicherheit habe sie die Nippel abgeklebt, falls das Huhn nicht stillhalten sollte. Die stolze Appenzellerin – ein Appenzeller Alpaufzug ziert ihr linkes Bein – ist eine echte Landwirtin, spezialisiert auf Geflügel, so echt, dass sie Anrecht habe auf Direktzahlungen vom Bund. Aber: Geflügelfachfrau, das sei kein Beruf, sondern Leidenschaft. Das Huhn sei ein super Tier, «Mast, Eier, alles ist möglich». Je nach Rasse sei es sogar ein Streicheltier, «wobei die Braunen generell zahmer als die Weissen sind». Welche Farbe die Eier haben, hänge nicht etwa von der Farbe der Federn, sondern von den Ohren ab: Sind die Ohrscheiben rot, gibts braune Eier, sind sie hell, gibts weisse Eier. Im Moment arbeitet Vanessa Hofmann in der Landi und hilft auf einem Geflügelbetrieb aus. Zuvor arbeitete sie in einem Betrieb mit 18’000 Legehennen, aber nein, ihr sei die Lust auf Eier nicht vergangen, und Poulet sei ihr absolutes Lieblingsessen. In der Schweiz werde dem Tierwohl sehr wohl Sorge getragen, «wir haben so viele Vorschriften, den meisten Tieren hier gehts gut». Auch sie will der Landwirtschaft zu einem «positiven Image» verhelfen, «anders als in den Medien, wo alles schlechtgeredet wird».

Die Chancen stehen gut, dass ihr Verlobter, Schreiner von Beruf, einst den Bauernhof seiner Eltern übernimmt, «dann unterstütze ich ihn voll und ganz». Gerne hätte sie dann ein paar eigene Hühner, am liebsten Seidenhühner. Und bis sie einen Stall hätten, hänge der Bauernkalender halt im Schlafzimmer.

Ein Bericht von Chris Winteler, SonntagsZeitung 12.11.2023

 

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