Presseartikel: Schweizer Bauer

«Ein Hauch Erotik für die Landwirtschaft»


Sie ist viel zu früh dran. Aus Angst, den Weg nicht zu finden, und vor Aufregung steht sie eine Stunde zu früh in den Räumen der Calendaria AG in Immensee SZ, wo das Casting für den Bauernkalender 2022 stattfindet. Die Jury macht gerade Pause und weist sie an, sich schon mal in Ruhe umzuziehen. Sonja Dürr aus Gams SG freut sich auf ihren Auftritt. Sie wird sich der Jury präsentieren, die aus Projektleiterin Daniela Mayer und Dominique Aeschbacher der Calendaria AG, die den Bauernkalender herausgibt und produziert, sowie aus dem Fotograf Silvan Bucher und dessen Geschäftspartner Ivan Zumbühl besteht. Wie fast alle anderen Kandidatinnen trägt sie knappe Hosen und einen Spitzen-BH. «Ein bisschen Herzklopfen habe ich schon», sagt sie. «Aber das ist ja normal, wenn man sich für so etwas bewerben darf.» Unangenehm sei es ihr nicht, mit so wenig Kleidern vor der Jury zu stehen. «In der Badi zeige ich ja noch mehr Haut und da stört es mich auch nicht.»


Speck auf den Rippen 

Auch Céline Christ aus Mümliswil SO fühlte sich offensichtlich nicht unwohl vor der Jury. Noch bevor Sonja Dürr eingetroffen war, kam sie in hohen Schuhen, einem kurzen Lederröckchen und einem karierten Hemd, das sie über den Bauchnabel zusammengeknüpft hatte. «I bi ’s Céline», stellte sie sich vor und strahlte. Sie erzählte von ihrem Grossätti, der eine Kälbermast hatte und jetzt pensioniert ist. Deshalb halte er nur noch sechs Pferde und Kleintiere. Sie sei gelernte Restaurationskauffrau, gehe aber regelmässig auf den Hof zum Grossätti. Ihr Hobby sei Jodeln, und sie werde noch die Bäuerinnenschule machen.

Wegen ihrer Liebe zur Landwirtschaft wolle sie in den Kalender. Und: «Ich will zeigen, dass auch Frauen, die nicht so sind» – sie streckt den kleinen Finger auf – «und etwas mehr Speck auf den Rippen haben, schön sein können.» Die Jury lächelt. Tatsächlich scheint sich die 20-Jährige mit ihren Rundungen (die nur in der Welt von ausgehungerten Models als solche auffallen) wohl zu fühlen. Für die Probefotos blickt sie selbstbewusst und routiniert in die Kamera. Der Jury gefällt das strahlende Lächeln der jungen Frau.

Allgemein sei Präsenz vor der Kamera wichtig, erklären sie, als die Kandidatin wieder draussen ist. «Der bäuerliche Hintergrund ist aber das Kriterium Nummer eins, um im Kalender zu erscheinen », so Daniela Mayer. Eine gute Körperspannung sei von Vorteil, ergänzt der Fotograf Silvan Bucher. «Ideal ist, wenn jemand schon Ballett getanzt oder intensiv geturnt hat», sagt er. Bisher waren solche Kandidatinnen und Kandidaten beim «Bauernkalender» nicht gerade dicht gesät. Mit den richtigen Anleitungen und Posen könne man aber viel aus den Einzelnen herausholen, so der Profi. Erfahrung vor der Kamera sei auch nicht nötig. «Man merkt allerdings, dass die heutige Generation bereits gewohnter ist, für Fotos zu posieren, da sie das öfter tut als frühere. Etwa für Facebook und Instagram.»

Auch Tobias Oderbolz hat bereits für Fotos posiert. An einem Shooting mit Kolleginnen, sagt er. Der 32-Jährige trägt Ohrringe und ein Bauchnabelpiercing. Ein paar filigrane Tattoos zieren seinen Körper. «Die bedeuten dir wohl alle etwas?», fragt die Jury. «Ja.» Er komme aus dem Kanton Uri, habe seinen Urner Dialekt aber abgelegt. Er lebe in Zürich. Gehe im Sommer z Alp und habe früher oft auf dem Quartierbauernhof mitgearbeitet, sagt er. Er sei in der Weiterbildung zum Dekorateur und mache gern Sport. «Wegen Corona kam ich allerdings nicht so dazu», sagt er und fasst sich an den Bauch. Die Jury lacht.

Auch Monika Frey aus Auenstein AG hat ein Tattoo. Am Knöchel. Eine grosse Rose. In ihrem Bauchnabel steckt – wie bei fast allen Kandidatinnen – ein Bauchnabelpiercing. Auch sie habe bereits etwas Erfahrung vor der Kamera. «Mein Götti hat mir ein Shooting zur Konfirmation geschenkt.» Die Bauerntochter ist gelernte Detailhandelsangestellte und mittlerweile in der Ausbildung zur Lastwagenchauffeuse. Auf die Frage, ob es ihr nichts ausmachen würde, mehr Haut zu zeigen als die Models auf dem diesjährigen Kalender, zögert sie einen Augenblick. «Wenn ich Unterwäsche tragen kann, dann go for it», sagt sie dann und streckt beide Daumen hoch.


Ausziehen für Bauern

Dann ist endlich Sonja Dürr dran. Mit einem grossen Plakat kommt die 36-Jährige rein. «Du siehst aus wie 26», sagt die Jury. Auf dem Plakat sind Kinderfotos und Bilder vom elterlichen Hof. Sie erzählt von ihrer Lieblingskuh Gemsli, die eines Tages nicht mehr da war. Von der Geschichte berührt, will die Jury wissen, ob sie trotz der Erfahrung mit Gemsli noch Fleisch esse. «Ich esse sehr gern Fleisch», sagt sie etwas erstaunt. Und sie sei der Landwirtschaft noch immer verbunden. Mittlerweile ist sie Floristin. Mit 19 Jahren konnte sie das Geschäft ihres Lehrmeisters übernehmen. Den 20-Hektaren-Milchwirtschaftsbetrieb mit OB-Kühen führt ihr Bruder weiter. «Es stand gar nie zur Diskussion, dass ich es tun sollte. Er hat Landwirt gelernt, und deshalb war es von Anfang an klar.»

Die Erfahrung aus ihrer Kindheit, in der sie viel mitgearbeitet habe, helfe ihr nun aber in ihrem eigenen Laden. «Ich bin es gewohnt, früh aufzustehen und hart zu arbeiten», sagt sie. Für diese Schule sei sie dankbar, und sie halte die Werte der Landwirtschaft hoch. «Deshalb würde es mir auch gefallen, in diesem Kalender zu sein. Es wäre schön, wenn ich diesen Berufsstand mit einem Hauch Erotik vertreten könnte», sagt sie. «Gerade im letzten Jahr hat sich wieder gezeigt, wie wichtig die Landwirtschaft für die Schweiz ist. Hofläden wurden ja förmlich überrannt. Ich möchte zeigen, dass man als Gesellschaft auch abseits von Krisenzeiten zur Landwirtschaft stehen soll.» Auf die Frage, ob man denn dafür die Hüllen fallen lassen müsse oder ob es nicht reiche, wenn die Landwirte gute Produkte herstellten, sagt sie, dass es doch erfreulich sei, sich in ästhetischen Fotos leicht bekleidet vor ländlicher Kulisse zu präsentieren.

Nach dem Casting ist sie zufrieden mit ihrem Auftritt. Entspannter als davor ist sie allerdings nicht, denn erst in einigen Tagen erfährt sie, ob sie im Kalender erscheinen und ans Shooting eingeladen wird.

 

Quelle: Schweizer Bauer, Julia Spar

 

Bitte geben Sie die Zeichenfolge in das nachfolgende Textfeld ein

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder.